20 report lisa fitz, kabarettistin freiheit ist für mich in erster linie eine freiheit, die ich mir je- derzeit nehmen kann. das bild, das umgehend vor meinem geistigen auge auftauchte, war: wohnmobil! jawohl, das wär’s! alles nötige rein – und dann weg, irgendwohin, in die natur, alles hinter mir lassen, den klassischen traum von freiheit leben und am besten nie wieder zurück- kommen aus griechenland, spanien, frankreich, marokko oder timbuktu. dann kamen weitere bil- der ... überfüllte campingplätze, prollige nach- barn, staus auf autobahnen, campierverbote, hundert überflüssige regeln, sanitäre probleme, räumliche enge im wohnmobil, mitfahrer nervt und so weiter. und dann führte mich die gedan- kenkette zu dem, was für mich echte innere frei- heit bedeutet: allein sein. stille. kein geschwätz. ein seminar vor vielen jahren fiel mir ein. der dozent bat die teilnehmer, vorwiegend frauen, ihre spontanen assoziationen zum begriff „allein sein“ zu formulieren. der überwiegende teil nannte: einsamkeit, depression, niemanden zum reden haben, das leben allein bewältigen müs- sen, verlassen werden, herbstlaub, november und „ich brauche die stille wie die luft zum atmen.“ was noch alles an melancholischen assoziationen. auf meinem blatt papier stand: endlich ruhe, ungestört denken können, kreativ sein, lesen, lernen, schreiben, spazieren gehen, nicht den gedanken und der wortflut anderer menschen und deren problemen ausgesetzt sein – ein freies hirn, das sich mit erkenntnissuche beschäfti- gen kann. was für ein luxus! die meisten menschen arbeiten im team, in großraumbüros, müssen ganztags die kommentare ihrer kollegen und freunde an- hören, sollen in der schule dem lehrer folgen, müssen durch super- märkte hetzen, sich durch menschenmengen kämpfen, verkehrslärm und in öffentlichen verkehrsmitteln körpernähe von fremden durch- stehen, mit dem partner ums fernsehprogramm streiten und, und, und. wenn ich ehrlich bin und nicht so genau wüsste, dass mir part- nerschaft guttut, wäre ich am liebsten allein. ich habe keine angst vor dem alleinsein. ich kann reisen, wohin ich will, kann machen, was ich will, bin niemandem rechenschaft darüber schuldig, wo ich war und wohin ich gehe. ich brauche die stille wie die luft zum atmen. ob man sie mit meditation füllt oder ein glas wein trinkt, mit blick in die natur über das leben sinniert – oder einfach nur doof vor sich hin schaut, durch den wald wandert und mit bäumen kommuniziert: die stille ist es, in der man sich regeneriert, neue kräfte tankt, das hirn und die gedanken klärt, entscheidungen trifft, sich ziele setzt. das geht im lärm der welt nicht. allen menschen, die müde, krank oder ausgepowert sind, möchte ich ans herz legen: geht in die stille, erkämpft euch diesen freiraum, er schafft euch gedankliche und emotionale freiheit. nach einem tag, oft schon einem nachmittag, manchmal sogar bereits nach einer stunde des alleinseins hat sich das system regeneriert, und man kann neu starten. von peter ustinov, dem großen schauspieler, stammt der satz: ,des menschen höchstes gut ist die stille.‘ “ manfred berger, ddr-flüchtling 1941 in leipzig geboren, habe ich als kind noch die schrecklichen folgen des krieges erlebt. meine heimatstadt lag in trümmern, und auch die menschen waren irgendwie zerstört. es folgten für mich jahre der schulbildung, abitur, studium – alles erfolgreich, gut durchdacht im sinne und zum wohl der partei und des staates ddr. die unzulänglichkeiten des alltags spielten hier noch keine rolle. aber wie soll man einen klugen, bestens ausgebildeten spezialisten daran hindern, nicht nur in eine richtung zu denken? das geht nur mit druck, mit repressalien und gewollter verdummung. der private alltag und das berufsleben wurden so zum problem. selbst in freundes- und kollegenkreisen war man immer in habachtstellung. das bewusstsein dieses widersprüchlichen und aufgezwungenen verhaltens führte schließlich zu dem schwerwiegenden entschluss, die ddr zu verlassen. 1973 gelang meiner frau und mir die flucht. schon der erste tag in der brd widerlegte, was wir bis dahin über den westen zu wissen glaubten. alles war hell und sauber, die menschen begegneten uns spontan freundlich und überaus hilfsbereit. von westberlin aus, wo ein längeres bleiben wegen der stasi-nähe und der damit verbundenen gefahren nicht möglich war, konnten wir völlig frei und unbeeinflusst über den ort und die art unseres weiteren lebens und schaffens entscheiden. die freiheit der persönlichen entscheidung – das war es, was uns hier und immer wieder auch später ergreifend und lebensbeeinflussend bewusst wurde und wird. das ist freiheit!“