Repor t Über den Pflegenotstand wird intensiv diskutiert. Unzureichende Rahmenbedingungen treiben die Fachkräfte aus dem Beruf und schrecken den Nachwuchs ab. Dabei stehen viele Pflegende voller Engagement hinter ihrer Tätigkeit. „Menschen im Blickpunkt“ hat eine Auszubildende und einen erfahrenen Altenpfleger nach ihren Eindrücken gefragt. Menschen im Blickpunkt: Frau Sutthiwong, Herr Titze, warum haben Sie sich für Ihren Beruf entschieden? Michael Titze: Ich hatte zuvor einen handwerklichen Beruf. Aber den empfand ich nicht als erfüllend. Eigentlich wollte ich etwas Sinnvolleres machen. Ich habe dann einen Tag im Altenheim hospitiert. Das hat mir so gefallen, dass ich beschlossen habe, Altenpfleger zu werden. Chalisa Sutthiwong: Ich war vorher in der Gastronomie tätig. Im März habe ich als Pflegehelferin angefangen. Bewusst in verschiedenen Einrichtungen, um eine Bandbreite kennenzu- lernen. Die Arbeit fand ich gut. Den Personalmangel live zu er- leben, hat mich zusätzlich darin bestärkt, in die Pflege zu gehen und die Leute dort zu unterstützen. Was empfinden Sie als das Erfüllende an diesem Beruf? Michael Titze: Menschen helfen zu können ist eine schöne Sache. Daneben ist der Pflegeberuf total abwechslungsreich und extrem interessant. Man lernt unterschiedliche Krank- heitsbilder kennen, und man arbeitet im Team. Chalisa Sutthiwong: Mich hat das Emotionale überzeugt. Es macht mich glücklich, alles zu geben und den Bewohnern am Ende ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Merken Sie, dass den zu Pflegenden der Fachkräftemangel bewusst ist und sie es zu schätzen wissen, dass Leute diesen Beruf ergreifen? Michael Titze: Ja, auf jeden Fall. Chalisa Sutthiwong: Absolut! Michael Titze: Die Bewohner merken natürlich, dass wir oft in Unterbesetzung sind. Sie schätzen uns sehr. Aber Dankbarkeit war schon immer da. Wenn man den Menschen etwas gibt, dann kriegt man das auch zurück. Wie läuft ein typischer Arbeitstag ab? Michael Titze: Es kommt immer wieder vor, dass man seinen Dienst antritt und sich jemand aus dem Kollegium krankgemel- det hat. Die berufliche Belastung, Rückenprobleme, diese ganze Überanstrengung – Krankmeldungen nehmen zu. Dann fängt man an zu improvisieren. Ansonsten ist der Tagesablauf ganz unterschiedlich, er kann schon gleich mit Stress, zum Beispiel mit dem Sturz eines Patienten, beginnen. Daneben hat man seine Routinearbeiten: Frühstück geben, Medikamente ausge- ben, Insulin spritzen, Verbände, Körperpflege, Mittagessen ein- geben und so weiter. Meist ist an einem Tag in der Woche Visite, da kommt der Arzt ins Haus, dann werden weiterführende Therapien abgestimmt, später alles im Computer dokumentiert. Diese Dokumentationspflichten: Waren die weniger umfangreich, als Sie in den Beruf eingestiegen sind? Michael Titze: Die Bürokratie ist in der Pflege mittlerweile tat- sächlich recht heftig. Allerdings gibt es heute die computerge- steuerte Dokumentation. Wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit müssen Sie für Verwaltungsaufgaben aufwenden? Michael Titze: Bei mir als Wohnbereichsleitung bestimmt vier- zig Prozent. Ich schreibe Dienstpläne, ich mache die komplette Pflegeplanung, ich übernehme die Dokumentation, das nimmt einen Haufen Zeit in Anspruch – neben der Pflege. Es wird diskutiert, dass man den Pflegenden Bürokräfte an die Seite stellt, die keine Pflegeausbildung benötigen, aber ihnen den ganzen Papierkram, den jemand Fachfremdes machen kann, abnehmen. Halten Sie das für sinnvoll? Michael Titze: Unbedingt. Ich halte es generell für sinnvoll, dass es bei den Mitarbeitenden verschiedene Gruppen gibt. Ich als Wohnbereichsleiter kümmere mich um den Ablauf, mache das Medizinische und die Leitungsarbeit. Daneben muss es Leute geben, die versorgen, die Grundpflege leisten, Essen austeilen, Essen eingeben und solche Arbeiten. Sie meinen, dass man die Einsatzgebiete stärker voneinander trennt und dann mit unterschiedlichen Qualifikationsniveaus arbeitet? Michael Titze: Ja, genau. Dafür gibt es einen englischen Begriff: Primary Nursing. Andere Länder praktizieren das bereits, und es funktioniert ganz gut. Man beschäftigt nicht viele gleichge- stellte hochqualifizierte Fachkräfte, die dann für alles zuständig sind, sondern eine Primary Nurse in der Verantwortung. Ihr ob- liegt die Gestaltung des Pflegeprozesses. Daneben gibt es die Pflegefachkräfte, Pflegehelfer und Schreibkräfte. Das heißt, man könnte die Personallücken in der Pflege unter einer Primary Nurse vermehrt mit Mitarbeitenden füllen, die für eingeschränktere Bereiche zuständig sind und deshalb nicht unbedingt die aufwendige generalistische Ausbildung durchlaufen müssen, die von der Säuglingspflege über die Krankenpflege bis zur Altenpflege alles umfasst? Michael Titze: Das ist das Ziel des Primary Nursing. Durch nied- rigschwelligere Angebote könnte man vielleicht auch bei uns mehr Menschen in den Beruf holen und diese dann ihrer Quali- fikation entsprechend gut bezahlen. Was ist denn beim Umgang mit alten Menschen wichtig? Chalisa Sutthiwong: Menschlichkeit, die fällt mir gleich an erster Stelle ein. Wir tragen dazu bei, dass wir den Bewohnern ein lebenswertes Restleben ermöglichen. Michael Titze: Respektvoll und in Würde. Chalisa Sutthiwong: Wir Pfleger haben ja verschiedene Rollen. Wenn die Bewohner länger bleiben, werden wir oft auch Freunde. Michael Titze: Wir sind so viel: Freunde, Berater, Friseure, Tagesgestalter, Ersatzenkel, einfach Ansprechpartner für alles. Was sollte bei Ihrer täglichen Arbeit trotz Zeitmangels nicht zu kurz kommen? Michael Titze: Das Wichtigste ist, mit den Bewohnern zu reden