30 Repor t mehr noch als die konditionelle Arbeit strenge die Kopfarbeit das Tier an. Und schon sind die beiden Hunde- führer mit ihrem Besucher in einen Austausch unter Kennern vertieft. „Wie findet ihr denn raus,“ will Jürgen Tonkel wissen, „ob sich ein Hund für eure Arbeit überhaupt eignet?“ Die Staffelmitglieder trainieren viel und sehen sich die Neuzugänge dabei genau an. Der Jagdtrieb sei zwar ein Ausschlusskriterium, Selbstständigkeit für einen angehenden Suchhund wie- derum ein großer Pluspunkt, rehabili- tiert Felix Kelm Cosmos Charakter zu- mindest teilweise. „Bis zu einem Alter von zwei Jahren nehmen wir auf“, erklärt Enikö Kato. „Denn bis ein Hund einsatzbereit ist, benötigt er zwei bis vier Jahre Ausbil- dung. Diese Investition lohnt sich nur, wenn wir ihn dann mindestens zehn Jahre für die Suche einsetzen können.“ „Und mit welchen Eigenschaften qualifiziert sich ein Jung- tier als angehender Rettungshund?“, fragt Jürgen Tonkel. Enikö Kato nennt als erstes Kriterium eine mittlere Größe. Eine Dogge beispielsweise passe nicht durch Engstellen, ein Dackel habe für längere Laufstrecken zu kurze Beine. Ferner ist eine Topkondition gefordert, „aber nicht nur physisch, sondern auch im Kopf“. Ebenso ausgeprägt muss der Geruchssinn sein, um einer menschlichen Spur zwi- schen allen anderen Gerüchen der Umgebung folgen zu können. „Und natürlich“, ergänzt Felix Kelm, „sollte der Hund Spaß daran haben, Kommandos zu erlernen und Aufgaben zu erfüllen.“ Zu den Aufgaben will Jürgen Ton- kel nun Genaues wissen: „Bei welchen Einsätzen werden Rettungshunde dazugeholt?“ Lawinenhunde kennt er, auch „Mantrailer“ sind ihm ein Begriff – Hunde, die die Spur eines bestimmten Menschen anhand einer Geruchs- probe, beispielsweise eines Kleidungsstücks des Vermiss- ten, aufnehmen. Mantrailer kommen meistens in besie- delten Gebieten, zum Beispiel in einer Großstadt, zum Einsatz. Wegen der zahlreichen Gefahren dort laufen sie an der Leine. Auf freiem Feld oder in einem Waldstück, in dem sich wenige Menschen aufhalten, sind Flächensuch- hunde perfekt, die das Gelände ohne Leine durchkämmen. „Sie verfolgen allerdings jeden menschlichen Geruch“, führt Felix Kelm weiter aus, „und spüren dann unter Um- ständen auch den Förster oder ein Liebespärchen auf.“ Erst im Oktober hat er sich mit Khalunaa an einer Flächensuche beteiligt, die durch alle Medien ging: Die achtjährige Julia aus Berlin war während eines Familien- ausflugs im Böhmerwald beim Spielen verlorengegangen. Sie zu finden, gestaltete sich als Wettlauf gegen die Zeit, denn nachts lagen die Temperaturen bereits unter dem Gefrierpunkt. Als am zweiten Tag klar wurde, dass sich die Für ihre Trainings nutzt die Rettungshundestaffel Areale, die ihnen die Gemeinden oder Privatleute zur Verfügung stellen. Die Ausbildung der Hunde erfolgt nach dem Prinzip der positiven Verstärkung: „Wir motivieren mit Spielen oder Futter“, erklärt Enikö Kato. „Der Hund braucht eine Belohnung. Denn unsere Ausbildung funktioniert nur, wenn er Spaß hat.“ Suche in dem unübersichtlichen Gebiet hinziehen würde, rief man weitere Teams hinzu, sodass am Ende 1400 Einsatzkräfte aus Tsche- chien und Deutschland eingebunden waren – unterstützt von Hub- schraubern und Drohnen mit Wärmebildkameras. Felix Kelm und drei weitere Münchner Hundeteams erreichten den Einsatzort mit- ten in der zweiten Nacht. Das noch nicht abgesuchte Gebiet wurde eingeteilt, Führer und Hunde zogen los. „Dabei macht man sich so seine Gedanken“, schildert Felix Kelm die Stimmung der Helfer. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass Julia noch lebt.“ Das Gelände war felsig, teilweise steil. „Man hat dann entsprechende Bilder im Kopf. Das Mädchen konnte abgestürzt sein oder erfroren in einem Graben liegen. Man denkt an die Eltern und vor allem an die Geschwister, die beim Spielen den Vorschlag gemacht hatten, sich aufzuteilen. Die machen sich in so einem Fall doch bestimmt Vorwürfe.“ Am dritten Tag kam die erlösende Nachricht: Julia hatte wie durch ein Wunder die kalten Nächte überlebt und war – deutlich unterkühlt, aber an- sonsten wohlauf – im Gras liegend gefunden worden. * Neben der Lawinensuche, dem Mantrailing und der Flächensuche leisten die Hunde bei der Wassersuche wertvolle Dienste, wenn also in einem Gewässer ein Ertrunkener vermutet wird. Sie stehen vorn auf dem Boot und schlagen an, wenn sie den Geruch von Leichenpar- tikeln, die sich auf der Wasseroberfläche sammeln, wahrnehmen. Als Darsteller von Kriminalhauptkommissar Paul Böhmer in der ZDF- Krimiserie „Die Chefin“, die in München spielt, kennt sich Jürgen Tonkel mit der Optik von Wasserleichen und dem Tempo von Verwe- sungsprozessen bestens aus. In einem Fall, es ging um eine ver- schwundene Frau, wurde sogar eine echte Rettungshundestaffel vor die Kamera geholt, um eine Suche nachzustellen. Nach zahlreichen Wiederholungen der Szene waren die Hunde entsprechend ausge- laugt, und Jürgen Tonkel erinnert sich an die Hundeführer, die zum Schutz der Tiere auf dem Abbruch der Dreharbeiten bestanden. „Wie anstrengend die Sucharbeit für die Tiere ist, musste man dem Regis- seur erst mal erklären. Die Hunde wussten ja nicht, dass sie für Dreh- arbeiten herhalten mussten, und hatten ihr Bestes gegeben.“