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MiB_September-2015

13 wie der Deckel einer Sardinenbüchse aufgerollt, die Fahrgäste fielen auf die Trümmer der Lokomotiven und wurden unter ihrem Waggon begraben. Den ersten Wagen des Gegenzuges hat es fast völlig über seine Lok gestülpt. Schwere Fahrwerke und Träger haben sich durch die immense Gewalt verbogen und ragen in den Himmel. * Über den Polizeifunk erfahren Günther Höcherl und Er- win Prechtl in München von dem Zugunglück. Beide werfen sich einen sorgenvollen Blick zu. Ihnen ist klar, was auf sie zukommt. Sie alarmieren den Rettungs- hubschrauber, der am Harlachinger Krankenhaus stati- oniert ist, und fordern von der Crew einen Lagebericht vom Notfallort. Gleichzeitig beordern sie vorsorglich drei ihrer Rettungswagen nach Warngau, informieren die Einsatzzentrale der Münchner Berufsfeuerwehr und bitten um technische Hilfe. Die Meldung aus dem Hub- schrauber erfolgt keine Viertelstunde später: „Schickt, was ihr könnt!“ Daraufhin entsenden die beiden nochmals neun Münchner Rettungsfahrzeuge. Und sie fordern von allen weiteren Hilfsorganisationen, wie der Johanniter- Unfallhilfe, dem Malteser-Hilfsdienst und dem Arbei- ter-Samariterbund, zusätzliche Wagen an. Zwischen Schaftlach und Warngau stehen bald Posten bereit, die die ankommenden Helfer an der Straße abfangen und durch das unwegsame Gelände lotsen. Die örtlichen Freiwilligen Feuerwehren machen provisorische Hub- schrauber-Landeplätze aus und sorgen – als die Dun- kelheit einsetzt – für ausreichende Beleuchtung. * Wilhelm Mahler und seine Söhne beobachten, wie Lei- tern an die Waggons gelehnt und Fenster zerschlagen werden, um die Verletzten und später auch die Toten zu bergen. Der Lokführer, der ihnen eben noch so freundlich zuwinkte, hat den Aufprall mit dem Leben bezahlt und wird mit gebrochenem Genick aus seiner Kabine gezogen. Ein Sanitäter kommt auf Wilhelm Mahler zu und deutet auf seine blutenden Wunden. Er schickt die vier zu einem Rettungswagen, in dem schon weitere Leichtverletzte warten. Der Fahrer bringt sie in das Krankenhaus von Bad Aibling. * Daheim in Krailling, macht Andrea Mahler ihren Jüngs- ten bettfertig. Anschließend hört sie wie immer die Nachrichten im Radio und erfährt von der Katastrophe. Sofort hat die Mutter das Gefühl: „Die sind da drin!“ Sie versucht, sich zu beruhigen, wird ihr ungutes Gefühl aber nicht los. Sie kann nichts tun und läuft ziellos durch die Wohnung. Nach Stunden klingelt endlich das Telefon. Gott sei Dank: Es ist Wilhelm, der ihr versichert, ihnen sei nichts passiert. Er ist bereits im Krankenhaus und wurde an zwei Stellen genäht. Die beiden jüngeren Söhne haben nur Prellungen und Abschürfungen davongetragen. Matthias, der gegen die Trenn- wand geschleudert wurde, klagt über starke Kopfschmerzen und muss wegen eines schweren Schädel-Hirn-Traumas einige Tage im Krankenhaus bleiben. * Erwin Prechtl und Günther Höcherl pendeln zwischen blinkenden Telefonen und zwei Funktischen hin und her. Sie koordinieren die Rettungsteams und die Rettungswagen mit den Verletzten. Dane- ben müssen sie jeden Einsatz handschriftlich dokumentieren, so verlangt es das Dienstprotokoll der 70er-Jahre. Die Kliniken rund um München melden ihnen freie Plätze, zivile Ärzte bieten ihre Hilfe an. Weitere sechs Hubschrauber – von der Polizei, der Bun- deswehr und dem Bundesgrenzschutz – haben sie auf Anforde- rung mit Notärzten nach Warngau beordert. Auch zum Kranken- haus Holzkirchen lassen sie zur Behandlung der vielen Verletzten Ärzte einfliegen. Um die Kliniken rund um den Unfallort zu ent- lasten, organisieren sie Flüge auf die Theresienwiese, von der aus Rettungswagen die Verletzten auf die verschiedenen Münchner Kliniken verteilen. Verzweifelte Angehörige rufen an, ob es denn schon Namenslisten der Opfer gäbe. Parallel dazu müssen die beiden Kollegen den eigenen Rettungsdienst in München aufrechterhalten, obwohl sie einen Großteil ihrer Fahrzeuge zu dem Großeinsatz beordert haben. Erwin Prechtl stimmt sich mit den benachbarten Rettungswachen ab. Diese entsenden Rettungswagen zur Münchner Stadtgrenze und halten sich dort in Bereitschaft. * Die Helferteams arbeiten die ganze Nacht: Mit Schneidgeräten befreien sie die Schwerverletzten aus den zerstörten Waggons. Teilweise mit Seilen auf provisorischen Bretterunterlagen festge- bunden, werden sie aus den Fenstern gezogen. Verletzte, die noch nicht geborgen werden konnten, liegen zwischen Toten und Trümmerteilen. Ärzte sind zu ihnen vorgedrungen und versu- chen, sie notdürftig zu versorgen. Vor den Waggons liegen mit Tüchern abgedeckte Opfer. Leichenwagen fahren sie zur Aufbah- rung und Identifikation in die Warngauer Kapelle. * Um 22 Uhr ist die Schicht von Erwin Prechtl und Günther Höcherl beendet. Mit einem langen Händedruck verabschieden sie sich voneinander. 41 Menschen starben bei dem Unglück, 126 wurden verletzt. Die beiden Fahrdienstleiter und der Beamte, der die Luft- kreuzung im Fahrplan vorgesehen hatte, erhalten später Frei- heitsstrafen auf Bewährung. Luftkreuzungen werden umgehend von der Bahn untersagt. Bis heute bleibt das Zugunglück von Warngau das schlimmste, das Bayern je erleben musste.

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