19 mit seinem Freund Samer als Dolmet- scher gemeldet, als sie von der Ankunft der Flüchtlinge hörten. Die Jungen sind in München aufgewachsen, stammen aber aus ägyptischen Familien, sodass sie beide Sprachen fließend sprechen. Auch Abdels Vater Ahmed A. hilft, wo er kann. Vor Jahren zog der Techniker aus seiner Heimat an die Isar, weil er eine Stelle bei Siemens gefunden hatte. Heute im Luisengymnasium kümmert er sich darum, Neuankömmlingen den Weg zur Essensausgabe zu zeigen und die Rot- kreuz-Helfer bei der Versorgung dort zu unterstützen. Auch er steht jederzeit als Übersetzer zur Verfügung. So assistiert er beim Gespräch mit ei- ner syrischen Bäuerin, die Hals über Kopf von ihrem Hof flüchtete, nachdem eine Granate das Wohnhaus zerstört hatte. Von Freunden hatte sie die Nachricht er- halten, dass Deutschland Flüchtlingen eine Zukunft bietet. Und eine Zukunft möchte sie wieder haben, zumindest für ihre sechs Kinder. Eine Ausbildung sollen sie in Deutschland bekommen. Sie war im neunten Monat schwanger, als sie die Heimat verließ. Ihren Mann, der in einer Rebellengruppe gegen das Assad-Regime kämpft, musste sie zurücklassen. Zwei Monate war die Familie unterwegs: Es ging zu Fuß durch die Türkei, weiter nach Griechen- land, mit dem Schiff nach Athen und von dort über Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Auf dem Arm hält sie ihren jüngsten Sohn Karim, gerade einmal sechs Wo- chen alt. In Griechenland kam er per Kaiser- schnitt zur Welt. Und bereits zwei Tage später machte sich die Frischoperierte mit ihrer Fami- lie wieder auf den Weg. „Ich habe während des Laufens genügend Pausen gemacht“, berichtet sie. „Ab und zu konnten wir sogar eine Strecke mit dem Bus oder Zug fahren.“ Ihr zweitjüngs- ter Sohn ist erst vier Jahre alt. „Die Kinder ha- ben sich sehr zusammengerissen und den Weg klaglos mitgemacht“, lobt sie ihren Nachwuchs. „Sie kennen den Krieg und wissen: Deutsch- land ist unsere letzte Chance.“ Ob sie nicht Angst um ihre Gesundheit und die der Kinder gehabt habe? „Schon“, sagt sie zögerlich, „aber ich sah keine andere Lösung.“ Im Sanitätsraum neben der Kleiderausgabe, ebenfalls ein umfunktioniertes Klassenzim- mer, schaut ein kleiner Junge von seiner Liege mit müden Augen auf den Rotkreuz-Helfer, der ihn untersucht. Die Mutter sitzt auf einem Stuhl an seiner Seite und möchte wissen, wa- rum der Kleine so schlecht schläft. Rettungs- sanitäter Hans Schwarzenbacher stellt fest, dass die Mandeln entzündet sind. „Vermutlich die Klimaanlage im Zug, viele unserer Patien- ten haben sich während der Bahnfahrt hierher eine Erkältung geholt“, fasst er seine Diagno- sen der heutigen Schicht zusammen. „Während der Fußmärsche wiederum befanden sie sich in einer Wettersituation, die sie nicht kennen.“ Viel trinken, Schlaf – und warme Socken emp- fiehlt er der Mutter für ihren Jungen. Sie lächelt über die Socken: Dieses Kleidungsstück ist in der Heimat der Zuzügler ein ungewöhnlicher Anblick. „Wir hatten hier in den vergangenen Tagen relativ wenige Akutfälle“, berichtet Hans Schwarzenbacher. „Die meisten erleben nach ihrer langen Odyssee in München zum ersten Mal Ruhe – und dann bricht sich die Erschöp- fung Bahn.“ Offene Füße vom langen Marsch sind ein häufiges Verletzungsbild, und gestern mussten drei ältere Patienten mit Herzpro- blemen in umliegende Krankenhäuser trans- portiert werden. Die leichten Fälle erhalten praktische Hinweise: eben in der Kleideraus- gabe nach Socken zu schauen und sich Woll- decken umzuhängen, auch beim Herumlaufen Im Sanitätsraum kümmerte sich Hans Schwarzenbacher um erkrankte oder verletzte Ankömmlinge:„Viele Flüchtende haben sich in den kühlen Nächten eine Erkältung geholt. Und nicht wenige haben nach dem langen Fuß- marsch offene Blasen an den Füßen.“ Lea Kubitz half in der provisorischen Kleiderausgabe im Luisengymnasium. Sie nahm die Kleiderspenden aus der Bevölkerung entgegen, sortierte sie und verteilte das Benötigte an die Asylsuchenden. „Manche Münchner spenden auch Babyfläschchen und Sauger“, erklärte sie. „Auch das wird hier dringend benötigt.“